Mathias Gabathuler
setzt sich vehement für mehr Freiheiten der Schulträger ein.
An der Quellenhofstrasse 4 in Gossau steht es, das 120 Jahre alte Haus. Über dem eindrucksvollen hölzernen Portal mit schützendem Vordach lautet die Inschrift «Marienheim». In dieses Haus führt die Spurensuche. Könnten diese Mauern aus längst vergangenen Jahren erzählen, so wären dies auch viele Frauengeschichten.
Geschichte Der «Fürstenländer», der allgemeine Anzeiger für den Bezirk Gossau und Umgebung, schrieb zur Eröffnung am 20. Oktober 1904: «In aller Stille erhob sich diesen Sommer aus dem grünen Wiesenplan des 'Quellenhof' nächst dem Bahnhof Gossau ein hübscher, altdeutscher Bau.» Stellvertretend für die Erbauer stand Pfarrer Dr. Gebhard Rohner, Präsident des Arbeiterinnenvereins. Er sah die Notwendigkeit, dem damals 300 Mitglieder zählenden Arbeiterinnenverein, einen Raum zu schaffen und damit die wirtschaftlich Schwachen zu unterstützen. Der katholische Arbeiterinnenverein Gossau war Teil einer starken sozialen Strömung im aufblühenden Dorf. Das «Marienheim» war geplant als eine offene «Wohlfahrts-Einrichtung» für Töchter aus allen gesellschaftlichen Schichten, für alle Konfessionen und auch für Nicht-Mitglieder. «Für Gossau ist dieses Unternehmen von so hoher und bedeutender Tragweite, dass es allseitig begrüsst und unterstützt zu werden verdient», heisst es 1904 im «Fürstenländer». Der wirtschaftliche Aufschwung der Stickereiindustrie im Kanton St.Gallen und auch in Gossau bot vielen auswärtigen Arbeiterinnen willkommene Verdienstmöglichkeiten. Der Verein schuf für die gerade der Schule entwachsenen, minderjährigen Mädchen und für die ledigen Frauen, die aus nah und fern in Gossau einen Arbeitsplatz fanden, nach ihrem elfstündigen Arbeitstag eine Unterkunftsmöglichkeit.
Hier wurden sie in den Werten Ordnungsliebe, Reinlichkeit, Sparsamkeit und Frömmigkeit geschult und für ihren gesellschaftlich vorbestimmten Weg ins Familienleben vorbereitet. Laut Bericht unterschied sich das «Marienheim» von den klassischen Fabrikarbeiterinnenheimen und war das zweite Vereinshaus dieser Art in der Schweiz. Pfarrer Dr. Gebhard Rohner bat das Kloster Ingenbohl um Unterstützung. So kamen Sr. Victoria Dummel, Sr. M. Anastasia für Nähkurse und Sr. M. Priska Nagel als Köchin nach Gossau. Alle drei teilten sich die Arbeiten des übrigen Haushaltes. Sie boten bezahlbare Mahlzeiten, eine Unterkunft mit 18 Zimmern für Pensionärinnen, eine öffentliche «Badeanstalt mit 4 Kabinen» für Frauen und Kurse in Haushaltführung an. In der Tageszeitung «Fürstenländer» wird das Haus wie folgt beschrieben: «Ein Glätteofen steht neben der Heizanlage und ein geräumiges Glättezimmer daneben wartet der lernbegierigen, edlen Weiblichkeit. Eine Waschküche ist da, dass es gewiss eine Lust ist, darin zu waschen und zu schwatzen nach Herzenslust. Und erst die netten Badekabinen, die allen Damen bestens empfohlen seien, werden nicht verfehlen, unser schönes Geschlecht noch schöner und gesundheitlich frischer zu gestalten.»
Im ersten Stock befanden sich ein grosser Speisesaal, ein Arbeitszimmer und ein Sitzungszimmer für die Sparkasse, die Krankenkasse und anderes. Das vorhandene Klavier durfte bestimmt zu manch fröhlicher Gesangsrunde eingeladen haben. In der Küche standen ein Hotelherd und alle nötigen Utensilien für die Zubereitung bescheidener und stärkender Mahlzeiten. Die 18 Zimmer waren beheizt und boten Platz für 35 Pensionärinnen. Ein kleines Zimmer mit zwei Betten kostete damals pro Woche 3 Franken, also 1.50 Franken pro Bewohnerin, darin inbegriffen war ein monatliches Bad. Für dreimalige Verpflegung wurde 1 Franken angerechnet, für externe Benutzerinnen wurden 0.55 Franken pro Mahlzeit verlangt. Es konnten aber auch billigere Abonnements gelöst werden. Die Hausarbeit wurde unter den Pensionärinnen in Form von «Ämtli» aufgeteilt. Die Pensionskosten zahlten die Mädchen aus ihren bescheidenen Stundenlöhnen, die zu jener Zeit etwa 40 bis 60 Rappen betrugen. In den Jahresberichten von 1904 bis 1927 schreiben die Ingenbohler Schwestern von «guten und schwierigen Zeiten». Während des Ersten Weltkrieges wurden Zucker, Reis, Mais, Teigwaren, Fett, Käse und Milch rationiert. Auch die Kohle für die Beheizung des Hauses war Mangelware. Dazu kam die Stickerei-Krise. Es fehlten die Pensionärinnen und somit die nötigen Einnahmen. Es bedurfte seitens der Ordensschwestern und des Arbeiterinnenvereins grosse Anstrengungen, das Angebot bis in die 1970er-Jahre «über Wasser» zu halten.
Das Mutterhaus Ingenbohl entschied 1971, die drei im «Marienheim» tätigen Schwestern zurück-zuziehen. Daraufhin gelangte der Verein an den Katholischen Kirchenverwaltungsrat Gossau. In einer Mitteilung in der Tageszeitung «Ostschweiz» war am 22. Mai 1971 zu lesen, dass für den Kauf des Heims wegen eines Servituts, das da hiess «zu gemeinnützigen, sozial-caritativen Zwecken im Sinn und Geist des Katholischen Arbeiterinnenvereins zu führen», rechtliche Abklärungen getroffen werden mussten. Im Heim wohnten noch 18 Pensionärinnen, davon waren sechs Frauen über 60 Jahre alt. Nach Bemühungen der Katholischen Kirche konnte ein Jahr später mit dem Instituto Operaio del San Vangelo die Lösung für eine «Scuola materna» gefunden werden. Zwei Ordensschwester betreuten Kinder zwischen drei und zehn Jahren von italienischen Gastarbeiterfamilien. Bis zu 40 Kinder wurden von den Schwestern und der Praktikantin betreut.
Ab 1997 eröffnete der Katholische Frauen- und Mütterverein im «Marienheim» ein Mütterzentrum sowie ein Ort der Begegnung, genannt BEO. Das Angebot ging über Kinderhort, Müttertreff und -austausch, inklusive Kursangeboten in Erziehungsfragen. Heute führen die Betreiberinnen die Spielgruppe «Bärehüsli» und im Auftrag der Stadt Gossau einen Elterntreff, an dem zeitweise auch die Väter-Mütter-Beratung anwesend ist.
bho
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