Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Vor 20 Jahren begann Markus Lieberherr mit einem kleinen Hilfsprojekt im Westafrikanischen Togo. Inzwischen ist aus «suisse-togo» ein sehr umfassendes Projekt geworden.
Hilfsprojekt Heute werden in Togo zwei Ausbildungszentren mit Kindergarten, eine Primarschule und im Norden des Landes eine Oberstufenklasse betrieben sowie Lehrlinge ausgebildet. Zudem setzt sich «suisse-togo» für Frauen- und Kinderrechte ein und greift bei Zwangshochzeiten ein. Doch zurück an den Anfang: 1999 reiste Markus Lieberherr aus Herisau zum ersten Mal nach Togo. Er absolvierte dort im Rahmen seiner Ausbildung zum Lehrer einen dreimonatigen Sprachaufenthalt. «Über ein Hilfswerk habe ich angefragt, ob sie Volontäre bräuchten, und so landete ich in einer Landwirtschaftsschule in Togo», erinnert sich Lieberherr. Er half, wo es ihn gerade brauchte und gab ab und an Englischunterricht. Bei seiner Arbeit lernte er den Lehrling Aoufoh besser kennen. «Er hat mich beeindruckt. Mit seinem wenigen Geld unterstützte er Kinder, damit diese die Schule besuchen können oder sorgte dafür, dass sie Schulmaterial und wenn notwendig Medikamente kaufen konnten», sagt Lieberherr. Lehrlinge würden in Togo keinen Lohn erhalten, lediglich Geld für die eigene Verpflegung hatte Aoufoh zur Verfügung. «Trotzdem kümmerte er sich damit um andere. Ich sagte ihm, ich wolle es ihm gleichtun. So schickte ich ihm nach meinem Sprachaufenthalt jeden Monat 50 Franken», so der Herisauer. Mit diesem Geld konnten fünf Kinder unterstützt werden. So wurde der Grundstein für den Trägerverein suisse-togo gegründet.
Aoufoh hatte 2001 die Idee, mit seiner Schwester, einer Schneiderin, die Frauen im Quartier auszubilden. «Diese befanden sich in prekären finanziellen Situationen, um zu überleben, mussten sie sich teilweise prostituieren. Wir haben eine Garage gemietet und zwölf Arbeitsplätze eingerichtet», so Lieberherr, der das mit Hilfe seiner Familie finanziert hatte. Aoufoh und seine Schwester übernahmen die Ausbildung vor Ort. Offiziell gegründet wurde der Verein suisse-togo 2004. «Da wir eigene Gebäude bauen wollten, kauften wir Land. Um dafür Spenden zu generieren, wurde der Verein in der Schweiz gegründet», sagt Lieberherr. Schliesslich bauten sie ein Atelier für die Schneiderei und einen Kindergarten ebenso wie ein Schulzimmer. «Es gab in Davié davor keine Kindergärten. Das Schulzimmer nutzten wir, um Erwachsene zu unterrichten, welche nicht lesen oder schreiben konnten.» Schnell wuchs das Projekt und eine Primarschule wurde gebaut. In Togo bestehen fast so viele Privatschulen wie öffentliche. «Staatliche Schulen sind masslos überfordert, oft gehen 40 bis 100 Kinder in eine Klasse – es fehlt an Geld und Unterrichtsmaterial. Die Schülerinnen und Schüler müssen von Büchern über Hefte bis hin zu Stiften alles selbst mitbringen», so Lieberherr. Doch oft können sich das die Familien nicht leisten. «Schülerinnen und Schüler zahlen bei uns Schulgeld, aber ein sehr tiefes. Bildung soll etwas kosten, aber zugänglich bleiben – auch für jene, die finanziell schlecht aufgestellt sind. Es kommt aber vor, dass auch unser vergleichsweise tiefes Schulgeld zu viel ist, daher kommt rund ein Drittel kostenlos zu uns oder bezahlt nur einen Teil», sagt Lieberherr.
Nicht nur im Süden sei der Bedarf an zusätzlichen Schulen vorhanden. Deshalb entschieden Lieberherr und Aoufoh 2009 im nördlichen Sagbièbou ein zweites Ausbildungszentrum mit Kindergarten, Schule und Ausbildungsmöglichkeiten zu bauen. Längst konnten sie das nicht mehr allein stemmen. Heute hat der Verein 50 einheimische Mitarbeitende, 700 Kinder besuchen die Schulen und Kindergärten. Pro Jahr werden rund 120 Lehrlinge zu Schneidern, Weberinnen oder Friseuren ausgebildet. «Männer und Frauen lernen bei uns alles, was sie für die Berufe brauchen», so Lieberherr. Ein duales Bildungssystem besteht in Togo nicht. Die Schüler werden aber in Gesundheitslehre, Geschäftsgrundlagen, Französisch oder Familienplanung unterrichtet.
Der Verein finanziert seine Arbeit und die Löhne der Angestellten mit Spenden – deshalb wolle man auch nicht unbedingt noch grösser werden. «Unsere Spenden sind sehr stabil, sie steigen aber seit Jahren auch nicht mehr an. Es ist einfacher Spenden für konkrete Projekte zu finden, als für die Deckung der Betriebskosten», sagt Lieberherr. Man wolle nicht riskieren, grösser zu werden und dann die Löhne nicht mehr bezahlen zu können. Das Geld ist nicht das Einzige, was Lieberherr die Arbeit erschwert, auch die politische Situation vor Ort sei schwierig. «Da wirken starke Kräfte gegen das, was wir machen, nicht nur lokalpolitisch, sondern auch durch die internationale Handelspolitik. Togo hat keine funktionierende Demokratie, der Rechtsstaat fehlt. Blicke ich auf das grosse Ganze, ist das entmutigend», sagt er. Dennoch bewirke das, was sie machen etwas. «Durch Bildung und Ausbildung können wir Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Perspektiven bieten, das ist die Motivation. Wir glauben, dass die Menschen durch Bildung befähigt werden, Propaganda zu durchschauen und politische Veränderungen herbeizuführen zu wollen. Wer versteht, was vor sich geht, kann versuchen, das System zu ändern – vielleicht ist es eine naive, idealistische Vorstellung, aber das macht Mut», so Lieberherr. Man baue deshalb Schulen, da es der Staat nicht ausreichend tut, weil Gelder veruntreut würden. Grundlegende Veränderung könnten aber nur durch gute Regierungsführung und faire internationale Beziehungen erreicht werden.
Der Verein setzt sich auch gegen Zwangsehen und Kinderarbeit ein. «Wir intervenieren bis zu 20-mal im Jahr bei Zwangshochzeiten und versuchen die betroffenen Jugendlichen teilweise verdeckt unterzubringen. Das ist sehr heikel, da die Familien, welche das arrangiert haben, sich wehren. Aber welche 16-Jährige will mit einem 60-Jährigen verheiratet sein?», fragt Lieberherr. Auch in Fällen von Kinderarbeit interveniere man. Kinder und Jugendliche würden oft mit dem Versprechen auf eine Ausbildung nach Nigeria oder Benin gebracht und zur Zwangsarbeit genötigt. «Das macht sehr betroffen, deshalb machen wir diese Arbeit, denn für den Einzelnen kann sie lebensverändernd sein.» Die politische Lage ist in Westafrika zudem aktuell nicht stabil. In einigen Staaten Westafrikas hätte die politische Instabilität in den letzten Jahren zugenommen. So kam es beispielsweise in Mali, Niger, Tschad, Guinea und Burkina Faso zu Militärputschen. In der Sahelregion verschlechtere sich die Sicherheitslage auch aufgrund des sich ausweitenden islamistischen Terrorismus und der organisierten Kriminalität. «Wir wollten eigentlich eine Oberstufe planen, die Finanzierung hätten wir. Aber die Angriffe nehmen seit 2021 zu und sind nur noch rund hundert Kilometer entfernt von dem Ort, an dem wir die Oberstufe planen», so Lieberherr. Da die Informationen sehr intransparent seien, wisse man nicht, auf welche Seite die Kämpfe kippen und ob man investieren solle. «Im März entscheiden wir, was wir machen.»
Die Themen, mit denen Lieberherr zu tun hat, sind schwierig. Dennoch glaubt er an den Verein und dessen Wirkung. Er selbst ist immer wieder in Togo, wenn es beruflich drin liegt. «Als Lehrer kann ich oftmals nicht für längere Zeit weg sein, es sei denn, ich kündige meinen Job und fange wieder von vorne an, wenn ich zurück bin. Das habe ich oft gemacht, einmal war ich ein ganzes Jahr in Togo», sagt er. Er versucht, mehrmals im Jahr in Togo zu sein. Bei seiner aktuellen Stelle ist dies möglich, da hat er zwei Mal im Jahr sechs Wochen Ferien vereinbart. «Das zwingt mich nicht dazu, zu künden und gibt mir eine gewisse Stabilität. Ich merke, dass es mir mit den Jahren schwerer fällt, die Energie für ständige Neustarts aufzubringen. Die Zeit in Togo ist immer intensiv und ich komme erschöpft zurück. Daher muss ich auch gut auf mich achten.» Dennoch: Die Arbeit für den Verein aufzugeben sei keine Option. «Im Leben von vielen einzelnen Menschen bewirken wir Gutes. Und das ist die Hauptsache.»
Stefanie Rohner
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