Potenzial für eine grosse Karriere
Dominic Lobalu kam als WM-Teilnehmer und Flüchtling in die Ostschweiz
Dominic Lobalu trainiert seit rund eineinhalb Jahren beim LC Brühl. In dieser Zeit hat er bereits vier Clubrekorde gebrochen und diverse starke Leistungen auf nationaler Ebene gezeigt.
Leichtathletik Als Neunjähriger flüchtet Dominic Lobalu gemeinsam mit seiner Schwester im südsudanesischen Bürgerkrieg vor den einfallenden Soldaten. In Kenia entdeckt der heute 22-Jährige vor sieben Jahre seine grosse Leidenschaft, wird Läufer und avanciert im Refugee-Team schnell zu den besten. Als Mitglied dieses vom IOC anerkannten Teams schafft es Lobalu 2017 an die WM in London. Er läuft danach in Europa erfolgreich an Strassenrennen. Doch da die Preisgelder stets in den Taschen von irgendwelchen Teammanagern landen, setzt sich der grossgewachsene Läufer 2019 nach einem Rennen in Genf ab und beantragt Asyl in der Schweiz. Über Umwege landet er schliesslich in der Ostschweiz und beim LC Brühl.
Dominic Lobalu, Sie trainieren erst seit Sommer 2019 beim LC Brühl, davor waren Sie im Flüchtlingslager in Kenia Teil des Refugee Teams. Wie sind Sie nach St.Gallen gekommen?
Mein Asylprozess fand in Chiasso statt. Es war mir viel zu heiss da, daher habe ich gefragt, ob es in der Schweiz auch kühlere Regionen gäbe. Sehr wichtig war mir eine Trainingsmöglichkeit in einem Team. So wurde ich nach einigen Erkundungen der Behörden der Asylunterkunft Ennetbühl zugeteilt, für die Trainings reiste ich jeweils nach St.Gallen. Jetzt im Winter ist es mir allerdings fast zu kalt hier (lacht).
Was machen Sie zurzeit neben dem Sport?
Ich wohne seit Mai in einer Wohnung in Abtwil. Jeden Morgen besuche ich den Deutschunterricht. Danach trainiere ich oft. Da ich nur einen Ausweis F (vorläufig aufgenommen) besitze, ist es sehr kompliziert, eine Arbeit zu finden.
Wie haben Sie das Jahr 2020 aus sportlicher Sicht erlebt?
Die Zeit während des Lockdown war für mich nicht einfach. Ich bin jemand, der das Team für die Trainings braucht. Zudem war lange unklar, ob es überhaupt Wettkämpfe geben wird. Das hat an meiner Motivation gekratzt und so konnte ich mein Niveau in dieser Zeit nicht verbessern. Als wieder Wettkämpfe stattfanden, war ich mit meinen Resultaten dennoch sehr zufrieden. Ich konnte zum Beispiel meine Bestzeit über 10 Kilometer von 29:14 Minuten auf 28:38 Minuten verbessern. Zudem konnte ich renntaktisch viel lernen in dieser Saison, hatte ich zuvor doch kaum Wettkampferfahrung auf der Bahn.
Was war für Sie der aussergewöhnlichste Moment in dieser Saison?
Die Halbmarathon-SM: Das war mein schnellster Halbmarathon bisher und ich hatte das überhaupt nicht erwartet. Während des Rennens hatte ich mit Seitenstechen zu kämpfen und überlegte bereits, aufzugeben. Daher glaube ich, dass ich noch viel schneller laufen kann.
Woher haben Sie in diesem Jahr Unterstützung erhalten?
Ganz wichtige Unterstützung habe ich von meinem Trainer Markus Hagmann erhalten. Er hat sich sehr für mich eingesetzt und mir geholfen, einen Ausrüstervertrag mit ON Running sowie eine finanzielle Unterstützung durch den LC Brühl zu erhalten. Das hat vieles einfacher gemacht. Auch in sportlicher Hinsicht setzt er sich sehr für mich ein, so hat er mich zum Beispiel bei meinen Dauerläufen am Wochenende jeweils auf dem Velo begleitet.
Was sind Ihre sportlichen Ziele 2021 und längerfristig?
Am wichtigsten ist mir sicher der 5000m, da strebe ich eine Zeit um 13:35 Minuten und den Sieg an den Schweizermeisterschaften an. Langfristig will ich eher längere Distanzen laufen, um mich irgendwann auf den Halbmarathon zu spezialisieren. Die Olympiade ist ein sehr grosser Traum von mir, 2024 wohl eher noch über 5?000m oder 10?000m, 2028 dann hoffentlich im Halbmarathon. Eine Qualifikation ist in meiner Situation aber sehr schwierig: Ich kann aktuell für kein Land laufen.
2017 sind Sie in London an der WM gelaufen. Jetzt laufen Sie in der kleinen Schweiz gegen die nationale Konkurrenz und sind nicht einmal medaillenberechtigt. Ist das kein Rückschritt?
Nein, überhaupt nicht. Ich laufe ja nicht fürs Geld oder die Medaillen, sondern aus Freude. Dass ich im Gegensatz zu früher locker und ohne Zwang laufen kann, bedeutet mir daher viel mehr. Zudem ist es für mich sehr wichtig, dass ich mit meinem Weg andere inspirieren und motivieren kann. Dieses Ziel kann ich auch mit kleineren Wettkämpfen erreichen. Interview von Casimir Herold