«Aufstockung der Ressourcen ist dringend notwendig»
Zu wenig Mitarbeitende bei den Sozialen Diensten St.Gallen für zu viel Arbeit
Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs steigt die Zahl der Flüchtlinge in der Schweiz immer mehr an – auch in der Stadt St.Gallen. Bei den Mitarbeitenden der Sozialen Dienste herrscht daher Ressourcenknappheit. Eine Aufstockung beim Personal wäre dringend notwendig, heisst es von mehreren Seiten.
Flüchtlingsbetreuung «Es muss offensichtlich ein grosser Leidensdruck bestehen», sagt Stadtparlamentarier Andreas Hobi, Fraktionspräsident der Grünen/Jungen Grünen. Er spricht damit die Mitarbeitenden der Sozialen Dienste St.Gallen an. An ihn und einen Fraktionskollegen hätten sie sich gewandt. «Sämtliche Aufgaben in Bezug auf die Flüchtenden, die hier in St.Gallen ankommen, werden von den Sozialen Diensten, Abteilung Sozialhilfe, mit dem bestehenden Personalbestand geleistet. Darunter fallen die Unterbringung, die finanzielle Unterstützung und die direkte Begleitung der Flüchtenden und der Gastfamilien. Diese grosse zusätzliche Arbeit überfordert die Kapazitäten der Sozialen Dienste», sagt Hobi. Weil intern dieser Notstand allerdings auf taube Ohren stosse und die Mitarbeitenden mit ihren Forderungen nach mehr personellen Ressourcen nicht zum Ziel kämen, hätten sie den Weg über die Politik gewählt. Hobi hat eine Interpellation eingereicht, die gegen 40 Mitglieder des Stadtparlaments aus allen Fraktionen mitunterzeichnet haben. Bezüglich der Beweggründe, weshalb die Leitung auf den Hilferuf der Mitarbeitenden nicht reagiere, kann Hobi nur Vermutungen anstellen: «Der Faktor Finanzen könnte einer sein, ein anderer die Schwierigkeit, entsprechende Leute zu finden. Wird den Mitarbeitenden in Aussicht gestellt, dass man am Lösen des Problems dran ist, tragen sie herausfordernde Situationen lange mit», meint Hobi. Rückmeldung auf seine Interpellation habe er noch keine erhalten, das könne noch bis August dauern, sagt er. «Das dauert aber zu lange. Es gab Mitarbeitende, die meinten, wenn sich nicht bald etwas ändere, würden sie künden. Dieses gut ausgebildete Personal darf den Sozialen Diensten nicht verloren gehen.»
Keine Frage des Know-hows
Dass personelle Ressourcen fehlen, meint auch Andreas Zanolari, Lehrer am GBS St.Gallen und Leiter der zivilgesellschaftlichen Initiative «Ukraine@Riethüsli», ein Netzwerk im Quartier Riethüsli, welches derzeit zehn Haushalte, die rund 25 Flüchtlinge aufgenommen haben und diese mit über 50 Personen aus dem Quartier unterstützen. «Ausserdem fungieren wir als Schnittstelle zur Stadt», erklärt Zanolari und fügt sofort an: «Die Mitarbeitenden der Sozialen Dienste leisten einen sehr guten Job, die Zusammenarbeit mit ihnen schätze ich sehr, aber ihr Limit ist erreicht, das ist klar erkennbar.» Eine Aufstockung von personellen Ressourcen sei dringend notwendig. «Ich habe das Gefühl, dass wegen der aktuellen Sparpolitik interne Möglichkeiten zur Personalaufstockung leider beschränkt sind», so Zanolari. Das Wort Überforderung beschreibe für ihn den Zustand allerdings nicht korrekt: «Sie sind im ‚Feuerwehrmodus‘. Sie handeln sehr bedacht und die vielen parallel laufenden Prozesse funktionieren gut. Man sieht schweizweit viele Schnellschüsse, wenn es um die Betreuung der Flüchtenden geht, nicht so in St.Gallen», erklärt Zanolari. Dies habe am Anfang bremsend gewirkt, aber langfristig sei dies die bessere Lösung. «Es geht hier also wirklich nicht um das Know-how der Mitarbeitenden, sondern nur darum, dass es zu viel Arbeit für zu wenig Personal hat.»
Vernachlässigung anderer Arbeiten
Sowohl Hobi als auch Zanolari geben zu bedenken, dass die Begleitung anderer Sozialhilfebeziehenden in den Hintergrund rücken könnte. «Konkret heisst das, dass Klientinnen und Klienten nicht mehr zu Besprechungsterminen eingeladen werden können, wenn dies nicht dringend notwendig ist. Zudem werden Sozialhilfeleistungen ausbezahlt, ohne dass die notwendige sorgfältige Prüfung erfolgt ist», sagt Hobi. Leider sehe er von aussen bis jetzt keine Veränderung der personellen Unterbesetzung, welche die Problematik lösen könnte, stellt Zanolari klar. «Während der Pandemie konnte auch ad hoc Personal für das Contact-Tracing und die Impfzentren rekrutiert werden.»
Keine Stellungnahme möglich
Auskunft über die momentane Situation der Mitarbeitenden der Sozialen Dienste kann Dienststellenleiter Heinz Indermaur aufgrund der laufenden Interpellation keine geben, wie er auf Anfrage sagt. Zur aktuellen Zahl schutzsuchender Personen sagt er: «Die Sozialen Dienste der Stadt betreuen per Stichtag 7. Juni bereits 372 Flüchtende aus der Ukraine.» Alle weiteren Fragen zur Thematik würden erst im Rahmen der Interpellation beantwortet.
Von Ladina Maissen