Stefan Häseli
Wurde als erster Schweizer in den erlauchten Kreis der «5-Sterne-Speakern» aufgenommen.
Pietro Capelli hat schon viele Dinge in seinem Leben gebacken gekriegt. Seine Panettone sind legendär, seine Politambitionen sind es ebenfalls. Die hat er mittlerweile allerdings begraben – doch wenn man bis zu 2000 Gipfeli pro Tag an die Frau und den Mann bringt, hat man sowieso keine Zeit mehr, sich mit italienischer Politik zu beschäftigen.
Gipfelistürmer Im Kirchgemeindehaus Linsebühl erzählt er von seinem interessanten Leben und ist dabei wie immer ein Publikumsmagnet.
Keine Frage: Pietro Capelli ist ein geselliger Mensch. Trotzdem schätzt er es, auch mal eine Nacht allein in der Backstube zu verbringen, da geht er voll in seinem Element auf. Genau wie der Teig, den er bearbeitet. Die Frage nach dem Rezept und dem Geheimnis seiner Panettone beantwortet er wohl zum hundertsten Mal – macht nichts, kann man eh nicht nachmachen, das Original kann nicht übertroffen werden. Es haben sich schon viele daran versucht, doch schon der PH-Wert des Teiges ist eine kleine Wissenschaft, wie Capelli verrät. «Das Rezept ändert mit dem Wetter, der Säuregrad verändert sich.»
Capelli wehrt sich gegen bösartige Gerüchte. «Das mit dem Schweinefett in den Gipfeli stimmt nicht. Es ist eigentlich simpel: Wenig Butter, kurze Triebführung» führt er aus. Jaja, Erfolg bringt Neider. Ganz am Anfang waren es noch 50 Gipfeli am Tag, heute sind es 2000. Er gibt auch arbeitswilligen Migranten eine Chance, ein ehemaliger Flüchtling aus Ex-Jugoslawien arbeitet schon seit 15 Jahren bei ihm, auch Litauer und Tibeter sind oder waren Teil des Teams. «Ich gebe den Leute gerne eine Chance, erwarte aber, dass sie sich an unsere Gepflogenheiten anpassen», macht Capelli deutlich.
Pietro Capelli hat keine Identitätskrise, doch er hat zwei Herzangelegenheiten: St.Gallen und Italien. Längst ist er ein Teil von St.Gallen geworden, doch wenn man ihn so gestikulieren und reden hört, dann ist das Italien pur. Die Zuschauer haben ihre Freude daran, Capelli nimmt wie immer kein Blatt vor den Mund: «Ich esse weniger Fleisch als früher. Die Prioritäten werden anders, auf das Alter wird man etwas senil», lacht er. Sein Vater sei ein «Satanscheib» gewesen, der einfach alles konnte. Vier Brüder hat er, einer ist leider gestorben. Die Erziehung hatte klare Leitplanken: «Möglichst geradlinig sein und schaffä», so das Cappelische Erfolgsprinzip. «Mein erster Job war Darmwaschen für Würste. Ich habe 2.50 Franken in der Stunde verdient». Vom Darmwäscher zum Panettone-König also ein weiter Weg. «I chrampfe gern», strahlt das Stadtoriginal. Doch daneben bleibt natürlich auch mal Zeit für Musica. Der Bäckermeister nimmt die begeisterten Zuschauer mit in sehnsuchtsvolle Gefilde. Und schon ertönt «amore, amore, amore» im ersten Refrain. Schluchzende Geigen inklusive. Jaja, das mit dem «amore» haben uns die Italiener weit voraus. Moderator Pfarrer Hans Rudolf Felix kann sich einen Kommentar nicht verkneifen. «Das war ein Stückli vom Zuckerbäcker, schön und triefend», lacht er.
Capellis frühere politische Ambitionen sind verständlich: Das italienische Politsystem ist verkrustet bis zum Gehtnichtmehr. «Italien ist ein Verwaltungsapparat», macht Capelli seinem Ärger luft. Und er hat ein Prinzip erkannt. «Diejenigen, die nichts haben, wollen mehr und diejenigen, die viel haben, wollen noch mehr.» Eine bestechende Analyse. «Und wisst ihr was: Ich bin froh, dass ich nicht gewählt worden bin», zeigt sich der Maestro erleichtert. «Der heutige Populismus bringt gar nichts.». Was er denn mit der Zeit mache, die er früher mit Politik verbracht habe, möchte ein Zuhörer wissen. «Noch mehr Panettone», lacht der stolze Berufsmensch. «Verschtrupft Ihnen auch mal etwas in der Backstube?», möchte eine interessierte Hobbybäckerin wissen. «Natürlich, es menschelet überall», beruhigt Capelli die Dame. Heute müsse man sich aber spezialisieren. Und als er von den 55 000 Franken Monatslohn für italienische Beamte redet, kommt wieder ein Schatten in sein Gesicht. «Denen kann niemand ans Bein pissen», wird er rabiat. Aber er hat ja recht. Doch dann lacht er schnell wieder. Warum sich mit der Verwaltung in Italien rumärgern, wenn ihn die St.Galler doch so gern haben. Pietro Capelli hat seinen Platz gefunden. Und der ist hier in St.Gallen. «Nach meiner Pensionierung werde ich dann pendeln» blickt Capelli voraus. Pensionierung? Und wer macht dann die weltbesten Panettone? St.Gallen darf jetzt schon eine offizielle Krisensitzung beantragen. Die Probleme sind allerdings kleiner als auch schon. «Früher hat man um jedes Gipfeli geellbögelt. Das war ein Kampf», erinnert sich Capelli. Aller Anfang ist schwer doch mit «chrampfe» kann man es weit bringen. Pietro Capelli ist der lebendige Beweis dafür.
Von René Alder
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