Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Mathias Gabathuler
Die Direktion Bildung und Freizeit hat zurzeit einige heikle Aufgaben zu erledigen, so unter anderem bei der Totalrevision des kantonalen Volksschulgesetzes, das die Kantonshauptstadt besonders tangiert und deshalb starke Einflussnahme verlangt. Weiter gilt es, die Qualität des Schulbetriebs mit mehr Lehrern ohne Diplom sicherzustellen und eine Lösung mit der «flade» zu finden.
Mathias Gabathuler, von der Totalrevision des Volksschulgesetzes wünschen Sie sich mehr Entwicklungsspielraum für die Schulträger. Weshalb?
Es ist wichtig, dass Grundlegendes allgemein geregelt wird. Als Beispiel erwähne ich die Besoldung der Lehrpersonen. Damit unter den Schulträgern keine Konkurrenz entsteht, benötigen wir kantonale Vorgaben. Das bestehende Gesetz weist jedoch eine zu hohe Regelungsdichte bis in die Details auf, welche die Entwicklungsmöglichkeiten der Schulträger zu stark einschränken. Dazu ein paar Beispiele: Lektionentafel- und Stundenplan sind bis in die Details vorgegeben. Zudem gehören Bekleidungsvorschriften nicht in ein Volkschulgesetz. Es wird auch vorgegeben, welche Lehrpersonen befristet und welche unbefristet angestellt werden können. Das ist aus meiner Sicht Sache der Schulträger.
Sollten auch die Selektionsvorgaben geändert werden?
Die Selektion zwischen Primar- und Oberstufe ist verfrüht und deshalb nicht notwendig. Kinder benötigen zur Potenzialentfaltung eine gestaltete Lernumgebung, adaptive Lernaufgaben und Feedback von Expertinnen und Experten. Mit adaptiven Lernaufgaben sind Aufgaben gemeint, die die Kinder gemäss ihren Lernvoraussetzungen optimal herausfordern und die gleichzeitig bewältigbar sind. Diese Art des schulischen Lernens benötigt keine Selektion, mit welcher Bildungschancen verteilt werden. Dies könnte auch erst gegen Ende der Volksschulzeit erfolgen.
Welche sind die Gründe, weshalb Sie für bessere Rahmenbedingungen für die Integration eintreten?
Aus gesellschaftspolitischer Sicht muss die Volksschule zur Teilnahme an der Gesellschaft und ihrer Gestaltung befähigen. Die Integrationsfunktion der Schule ist daher sehr hoch zu gewichten. Möglichst viele Kinder sollen die Regelschule besuchen. Einerseits benötigen wir finanzielle Ressourcen, denn die Integration von Kindern mit besonderen Bildungsbedürfnissen kostet. Andererseits braucht es entsprechendes Personal und zeitliche Ressourcen, damit Kinder mit besonderem Bildungsbedarf integriert werden können. Wir haben seit Jahren einen erheblichen Mangel an schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Zudem ist das heutige System so eingerichtet, dass ein Kind entweder in die Regelschule oder in die Sonderschule geht. Die Regelschule wird durch die Schulträger finanziert, die Sonderschulung von Schulträgern und Kanton gemeinsam. Dieses «Entweder-Oder» sollte dringend durch die Möglichkeit ergänzt werden, dass ein Kind mit Sonderschulempfehlung in der Regelklasse beschult werden kann, getragen durch eine gemeinsame Finanzierung von Schulträger und Kanton. Zudem wäre es wichtig, sicherzustellen, dass in den Sonderschulen genügend Plätze vorhanden sind, was aktuell nicht der Fall ist.
Weshalb setzen Sie sich für die Freiheit in der Gestaltung der Schuleingangsstufe und der Oberstufe ein?
Das heutige Gesetz gibt genau vor, dass die Oberstufe aus Sek und Real besteht. Dieses überholte Modell gaukelt vor, dass nach Leistungsniveaus differenziert wird. Wir wissen, dass das nicht stimmt. Mit der Zuteilung in Sek und Real werden vor allem soziale Schichten reproduziert und gefestigt. Es ist dringend notwendig, dass die Schulträger das Oberstufenmodell selbst wählen und gestalten können. Demensprechend führen wir aktuell einen Pilotversuch für eine typengemischte Oberstufe durch. Gerne hätten wir diesen Versuch mit einem integrierten Oberstufenmodell (ohne Typenzuordnung der Jugendlichen) durchgeführt. Das aktuelle Volksschulgesetz lässt jedoch einen solchen Schulversuch nicht zu. Ähnlich sieht es in der Schuleingangsstufe aus. Wir sind verpflichtet, zwei Kindergartenjahre und eine erste und zweite Klasse zu führen. Letztere könnten auch als Zweijahrgangsklasse geführt werden. Auch hier benötigen wir mehr Gestaltungsfreiheit. Altersdurchmischte Formen mit flexibler Verweildauer sollten möglich sein, ohne dass diese bewilligt werden müssen.
Was sagen Sie zur Absicht des Kantons, der Stadt einen eigenen Schulpsychologischen Dienst (SPD) zu untersagen?
Im Rahmen der Totalrevision werden sämtliche Ausnahmen thematisiert. Ich habe Verständnis dafür. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, weshalb etwas ändern, das gut funktioniert. St.Gallen mit seiner Grösse hat einen anderen Status als kleinere Landgemeinden. So führen wir auch eine eigene Kinder- und Jugendzahnklinik (KJZK), weil Private die Reihenuntersuchung und Behandlung von zirka 7000 Kinder und Jugendlichen gar nicht übernehmen könnten.
Den Sonderstatus der «flade» beabsichtigt der Kanton im neuen Gesetz zu streichen. Wie stellen Sie sich dazu?
Die historisch gewachsene Situation von zwei öffentlichen Schulträgern auf gleichem Staatsgebiet wird bei der Generalrevision in Frage gestellt. Aus kantonaler Sicht ist dies verständlich. Aus städtischer Sicht stellt sich aber auch hier die Frage, wieso etwas ändern, das gut funktioniert. Grundsätzlich sind wir unabhängig von der gesetzlichen Grundlage weiterhin an einer guten Zusammenarbeit mit der «flade» interessiert.
Die Zahl der Lehrpersonen in der Stadt ohne Diplom ist auf 120 massiv angestiegen. Wie wird die Unterrichtsqualität überwacht, gefördert und sichergestellt?
Lehrpersonen ohne Diplom werden vom Lehrerteam und von der Schulleitung betreut und mitgetragen. Die Schulleitung ist verantwortlich für die Überprüfung der Unterrichtsqualität. Sie führt das Mitarbeitergespräch und legt zusammen mit den Lehrpersonen Ziele fest. Grundsätzlich sind wir froh um diese Lehrpersonen, denn sie helfen uns durch die Krise. PISA 2022 hat allerdings ergeben, dass Schulen mit aktuellem Lehrpersonenmangel beziehungsweise mit einem grossen Anteil an nicht ausgebildetem Personal signifikant schlechtere Leistungen erbringen als Schulen ohne akuten Lehrpersonalmangel.
Interview: Franz Welte
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