José Amrein
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Markus Hürlimann möchte in Medellin eine Schweizerschule gründen.
Markus Hürlimanns Geschichte beginnt in Abtwil. Bereits in jungen Jahren träumte er von einem Leben im Ausland. Ermöglichte es sein Bankenjob zunächst, den Traum wahr werden zu lassen, wanderte der heute 54-Jährige 2018 seiner Tochter zuliebe nach Kolumbien aus.
Auswandern Nach seiner Banklehre bei der schweizerischen Volksbank arbeitete Markus Hürlimann mehrheitlich in Zürich. Aber immer wieder zog es den Abtwiler in die Welt hinaus – sei es geschäftlich oder privat. «Ich wollte schon in jungen Jahren weg aus der Schweiz», erzählt Hürlimann, «insbesondere wegen der langen und kalten Winterzeit.» Zwischenzeitlich nannte er Luxemburg, Singapur oder New York sein Zuhause.
Vor 24 Jahren, während seiner einjährigen Tätigkeit in New York, reiste er 2000 zum ersten Mal nach Kolumbien, um dem Winter in der Metropole der amerikanischen Ostküste zu entkommen. «Kolumbien hat mir damals schon gut gefallen», erinnert er sich: «Die Vielfältigkeit der Bevölkerung, das Essen und die Musik, aber auch die atemberaubenden Landschaften, die Lebensfreude der Menschen und nicht zuletzt die Wärme.» Auf einer seiner Reisen nach Kolumbien lernte der Banker 2002 seine heutige Ex-Frau kennen und lieben. Während der Abtwiler in den 1990er-Jahren unter anderem nach Indien, Vietnam, Japan, Australien, Neuseeland und Mexiko reiste und nebst Französisch auch Spanisch, Englisch und Basis-Japanisch lernte, entschloss er sich nach dem Platzen der Dotcom-Blase, vorerst in der Schweiz zu bleiben und auf ein Leben in einem anderen Land zu sparen. Seine Frau folgte ihm und 2003 wurde ihre Tochter Nicole geboren. «Alles schien perfekt zu sein», entsinnt sich Hürlimann, «guter Job, schöne Wohnung, tolle Familie.» Doch das Familienglück währte nicht lang. Seine Frau erkrankte 2004 schwer und zog mit der Tochter zurück nach Kolumbien. Während sich die Mutter in ärztliche Behandlung begab, wuchs Nicole bei ihren Grosseltern in Cali auf. «Es war eine schmerzhafte Entscheidung», sagt der 54-Jährige. «Aber bei den Grosseltern war sie gut aufgehoben und ich besuchte sie jedes Jahr.»
Trotz der Trennung von seiner Tochter verliess Hürlimann nicht das Ziel aus den Augen: Geld auf die Seite zu legen, um dereinst in ein sonniges und warmes Land auszuwandern. Er kündigte seinen Bankjob, um sich als Business Analyst und Projektmanager selbstständig zu machen. Als seine Tochter zwölf Jahre alt war, teilten ihm die Grosseltern in Kolumbien mit, dass sie sich nicht weiter um ihre Enkelin kümmern können. Hürlimann reagierte sofort und holte seine Tochter 2016 in die Schweiz. «Es war wunderschön, meine Tochter wieder bei mir zu haben, allerdings merkte ich schnell, dass sie sich in der Schweiz nicht heimisch fühlte», erzählt der Vater. Seiner Tochter zuliebe geht er 2018 mit 49 in Frühpension und entschliesst sich, die Zelte in der Schweiz abzubrechen und in Medellin neu aufzubauen. «Da ich Kolumbien gut kannte und Bescheid wusste, was es für die Einwanderung brauchte, benötigte ich keinen Plan B», offenbart Hürlimann. Noch von der Schweiz aus organisierte er einen Schulplatz für Nicole und eine Wohnung bei einer älteren Dame, die gut vernetzt war und ihm wunderbare Kontakte sowie wertvolle Ratschläge geben konnte.
Seine Erwartungen wurden erfüllt. Seither geniesst er die gemeinsame Zeit mit seiner Tochter. «Ich habe viel Freizeit und kann machen, was mir gefällt», frohlockt Hürlimann. Wenn er nicht reist und sich an Land und Leute erfreut, trifft er andere Schweizer, die den Schritt nach Medellin gewagt haben. «Ich bin nicht hierher ausgewandert, um die Perfektion und Effizienz zu finden, welche die Schweiz bietet, sondern wegen der ganzjährigen Wärme mit viel Sonnenschein und der Herzlichkeit der Einwohnerinnen und Einwohner.» Die Auswanderung bereut er keineswegs – vermisst er doch auch nichts an der Schweiz. Und falls ihn doch das Heimweh packt, dann besucht er seine Eltern, Geschwister und Freunde in der Heimat für ein paar Wochen im Sommer. «Die Schweiz ist ein wunderschönes, zivilisiertes und durchorganisiertes Land und es gibt viele gute Sachen, jedoch kann ich mit Geld kein warmes Winterwetter kaufen», sagt der Auswanderer. Aktuell ist er damit beschäftigt, in Medellin eine Schweizer Auslandsschule aufzubauen. Sonst betreibt er viel Sport, trifft sich mit anderen Auswanderern zum Mittagessen oder um ein Fussballspiel aus Europa zu schauen. «Ich lebe von meinen Ersparnissen, worauf ich in der Schweiz fast 20 Jahre lang gezielt hingearbeitet habe», verrät der Auswanderer. Mit jährlichen Kosten von 25'000 Franken lasse es sich in der zweitgrössten Stadt Kolumbiens gut leben – VIP Krankenversicherung, auswärts Essen und Kurztrips inklusive. «Mir fehlt es an nichts», verkündet der Abtwiler wenig überraschend.
Seit Kindsbeinen liebt es Hürlimann, sich mit anderen Ländern und Kulturen zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Auch in seiner Wahlheimat ist er dem treu geblieben und erkundet wann immer möglich das Land. Ob «San Jose del Guaviare» mit seinen faszinierenden Wandmalereien und Naturschönheiten, die unbekannte «Wüste von Tatacoa», wo Millionen Sterne zu beobachten sind oder die vielen Inka-Statuen und beeindruckenden Wasserfälle von «San Agustin» – Hürlimann entdeckt immer wieder neue Perlen. Obwohl er die Gemütlichkeit und Gelassenheit von seinen kolumbianischen Landsleuten übernommen habe, seien die Genauigkeit und das organisatorische Talent typisch schweizerisch geblieben. Obgleich seine Tochter mit ihrem Medizinstudium beschäftigt ist, sehe er sie fast täglich. «Rückblickend kann ich behaupten, dass ich sehr vieles richtig gemacht habe», ist er überzeugt. «Und vorausschauend wünsche ich mir ein sorgenfreies und gesundes Leben, das es mir erlaubt, weiterhin zu reisen, fremde Kulturen und atemberaubende Naturschauplätze zu erkunden sowie mit vielen guten Bekannten erbauliche Erlebnisse zu geniessen.»
Von Benjamin Schmid
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