Christof Huber
gab vergangene Woche den ersten Teil des OASG-Line-Ups bekannt.
Das Behindertengesetz soll revidiert und mit drei Nachträgen ergänzt werden.
Der Kanton St.Gallen plant eine umfassende Überarbeitung des Behindertengesetzes, um Menschen mit Behinderungen eine grössere Selbstbestimmung und bessere Inklusion zu ermöglichen. Die Änderungen zielen darauf ab, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und die Bedürfnisse der Betroffenen ins Zentrum zu stellen.
Menschenrecht Das Behindertengesetz des Kantons St. Gallen, das seit 2013 in Kraft ist, wurde auf Initiative des Parlaments hin überarbeitet, um die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) besser umzusetzen. Die Gesetzesrevision des Behindertengesetzes (BehG) soll den Betroffenen eine unabhängige Lebensgestaltung ermöglichen und die Unterstützung im Bereich Wohnen und Familienbetreuung verbessern. Marcel Giger, der als Betroffener an der Überarbeitung beteiligt war, hebt die Wichtigkeit der Bedürfniszentrierung hervor: «Es ist entscheidend, dass die Bedürfnisse und die Lebensrealität der betroffenen Menschen im Mittelpunkt stehen.» Zudem sieht er in der oft komplexen Behördensprache ein Hindernis und fordert eine verständlichere Kommunikation. Auch Andrea Stieger, Leiterin der Kita Wunderland in Montlingen, unterstreicht die Bedeutung inklusiver Angebote für Kinder: «In unserer Kita ist es selbstverständlich, dass Kinder mit Behinderungen willkommen sind.» Stieger betont jedoch, dass finanzielle Unterstützung für Kitas notwendig ist, um die höheren Kosten nicht auf die Eltern abzuwälzen. «Der Kanton und die Gemeinden müssen einspringen, damit Inklusion nicht an der Finanzierung scheitert.» Die Revision umfasst drei Nachträge, die gezielt wichtige Verbesserungen in den Bereichen Wohnen, Gleichstellungsrecht und Kinderbetreuung anstreben.
Das Gesetz ermöglicht künftig mehr Menschen, mit ambulanter Unterstützung in den eigenen vier Wänden zu leben. Eine personenzentrierte Finanzierung erlaubt es Betroffenen, je nach individuellem Bedarf auf Fach- und Assistenzleistungen zurückzugreifen, wie zum Beispiel bei der Haushaltsführung oder bei Behördengängen. Diese Finanzierung greift dann, wenn andere Finanzierungsquellen ausgeschöpft sind. Ein Beispiel verdeutlicht den Nutzen: Wird ein Elternteil, das eine IV-berechtigte Person zu Hause unterstützt, plötzlich krank, muss die Person nicht sofort in ein Heim ziehen. Stattdessen greift die ambulante Unterstützung und deckt so den Bedarf – eine Lösung, die auch die öffentlichen Kosten senkt, wie Regierungsrätin Laura Bucher anlässlich der Medienkonferenz von letzter Woche erklärte: «Diese Förderung soll eine bedarfsgerechte Betreuung sicherstellen und langfristig zur Reduktion der Kosten für stationäre Unterbringung beitragen.» Bis 2034 rechnet der Kanton durch den vermehrten Wechsel von stationären zu ambulanten Wohnformen mit einer Kostendämpfung von 10 Millionen Franken.
Mit gezielten Änderungen am BehG und weiteren Gesetzen möchte
der Kanton St. Gallen zudem die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verbessern. So wird künftig die Barrierefreiheit für
Gebäude im öffentlichen Eigentum sowie die barrierefreie Kommunikation des Staates gesetzlich verankert. Der Kanton verpflichtet sich
zudem, neue Gesetzesvorlagen stets auf Übereinstimmung mit der
UN-Behindertenrechtskonvention zu überprüfen. Darüber hinaus soll die Beförderung von Kindern mit
Behinderungen zur Schule erleichtert werden.
Die dritte Neuerung betrifft die Betreuung von Kindern mit Behinderung in Kindertagesstätten. Hier sorgt die Gesetzesrevision für eine bedarfsorientierte Finanzierung der Mehraufwände, die bei der Betreuung von Kindern mit speziellen Bedürfnissen anfallen. Der Kanton und die Gemeinden teilen sich diese zusätzlichen Kosten, die für Betreuung, Schulung und individuelle Förderung der Kinder notwendig sind. «Leider scheitern Inklusionsbestrebungen oft an der Finanzierung», erklärt Andrea Stieger. «Diese Neuregelung unterstützt eine nachhaltige Lösung und entlastet die Eltern, die sonst zusätzliche Betreuungskosten tragen müssten.» Das stärke nicht nur die Inklusion, sondern fördere auch eine frühe Integration, von der alle Kinder profitieren.
Ein weiterer Schwerpunkt der Gesetzesrevision ist die Einbindung der Betroffenen. Selbstvertretende, stationäre Einrichtungen, ambulante Leistungserbringende und die Behindertenkonferenz waren von Anfang an beteiligt, um eine möglichst praxisnahe Lösung zu finden. Marcel Giger lobt diesen partizipativen Ansatz, sieht jedoch Nachholbedarf in der Sensibilisierung der Behörden: «Es ist wichtig, dass die Behörden die Anliegen von Menschen mit Behinderung besser verstehen.» Ein erster Schritt ist, dass die Unterlagen zur Revision des BehG in Einfacher und Leichter Sprache zur Verfügung stehen. Auch ein Erklärvideo soll helfen, den Vernehmlassungsprozess verständlich darzustellen. Stellungnahmen können auf vielfältige Weise, unter anderem schriftlich, via Sprachnachricht oder mit einer Videobotschaft eingereicht werden. «Die Gesetzesrevision fördert Wahlfreiheit und Selbstbestimmung und setzt die Verpflichtungen der UN-BRK konsequent um. Damit schaffen wir eine Gesellschaft mit mehr Inklusion und weniger Barrieren», resümierte Bucher und ergänzte: «Die aktuelle Gesetzesrevision legt den Schwerpunkt auf den ambulanten Bereich, doch ein zweiter Revisionsschritt ist bereits in Planung.» Ziel sei es, auch im stationären Bereich bestehende Barrieren zu beseitigen und eine durchgängige Finanzierung zu schaffen.
Von Benjamin Schmid
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